Faktencheck zum E-Rezept - E-Rezept für Dummies


26.08.2022
Was ist das E-Rezept?
 

Das E-Rezept ist der digitale Nachfolger des klassischen rosa Papier-Rezepts (im Fachjargon “Muster 16”) für Kassenpatient*innen (nicht Privatversicherte). Es soll das Muster 16 im DIN A6 Format im Laufe des Jahres 2023 ablösen. Bundesweit werden jährlich etwa 500 Millionen Rezepte ausgestellt. Das entspricht einem Papierstapel von mehr als 50 Kilometern Höhe, oder auf dem Boden ausgebreitet einer Fläche von über 1000 Fußballfeldern. Oder - ein letzter Vergleich[1] - mit der kurzen Seite aneinandergelegt einer Strecke von 52500 Kilometern, dem 1,3-fachen des Erdumfangs.

Warum E-Rezept?

Dazu schreibt das Bundesgesundheitsministerium (BMG):
Wenn Sie Geld überweisen, füllen Sie dann noch einen Überweisungszettel aus und bringen ihn zur Bank? Warum bringen wir dann noch Papierrezepte zu unseren Apotheken? Damit die Behandlung mit Arzneimitteln sicherer wird, Abläufe in der Arztpraxis und der Apotheke vereinfacht werden und auch die Zettelwirtschaft im Gesundheitswesen aufhört, führen wir das E-Rezept ein.[2]

Wie funktioniert das E-Rezept aus Sicht der Patient:innen?

Schon heute (Stand August 2022) können Patient:innen bei einigen Arztpraxen ein E-Rezept bekommen und dieses dann bei den meisten Apotheken einlösen. Als Patient:in erhält man das E-Rezept in Form eines DIN-A4 oder DIN-A5 Zettels (also 2 bis 4 Mal so viel Papier wie das Muster 16!) mit einem abstrakten 2D-Code (ähnlich den geläufigen Codes, wie sie zum Beispiel in den Corona Impfzertifikaten verwendet werden) oder alternativ in der wirklich elektronischen Variante als Übermittlung an die E-Rezept App, die es von der federführenden Organisation gematik für geeignete Smartphones gibt. Mit dem Zettel oder der App kann das E-Rezept dann in der Apotheke eingelöst werden.

Welche Daten enthält das gedruckte E-Rezept?

Im Unterschied zum Muster 16-Rezept enthält das gedruckte E-Rezept als zentralen Bestandteil einen sogenannten 2D Code. Dieser Code enthält keine persönlichen Daten über Patient:in bzw. die verordneten Medikamente, sondern nur ein Token, also einen Schlüssel, mit dem berechtige Apotheken in der Lage sind, die eigentlichen Daten des E-Rezepts (u.a. versicherte Person, Medikamente) über eine gesicherte Verbindung zu einem zentralen Serverdienst einzulesen.

Die auf dem E-Rezept aufgedruckten, lesbaren Informationen könnten auch völlig entfallen, sie sind für den Übertragungsweg zur Apotheke völlig irrelevant und dienen lediglich der Information der Patient:in.

Die App ist ja eine super Sache, warum wird das kaum genutzt?[3]

Um die E-Rezept App nutzen zu können, sind derzeit leider einige Hürden zu überwinden:

  • Man muss eine aktuelle Gesundheitskarte der Generation 2.1 haben. Die Generation Ihrer Karte ist oben rechts auf der Vorderseite aufgedruckt. Viele Patient:innen (ca. 40%) haben noch keine passenden Karten, weil die Krankenkassen mit der Produktion nicht hinterherkommen. Grund dafür sind Chipmangel und problematische Lieferketten.
  • Man muss ein Smartphone mit den Betriebssystemen Android 7 bzw. iOS 14 (oder neuer) haben.
  • Das Smartphone muss den Standard NFC (Near Field Communication) unterstützen - ältere oder preiswerte Geräte unterstützen das häufig nicht.
  • Man muss eine PIN zur Gesundheitskarte von seiner Krankenkasse bekommen haben. Die ist derzeit schwer zu ergattern[4], da man sich dafür bei seiner Krankenkasse (persönlich) identifizieren muss. Das wurde bisher üblicherweise im sogenannten Video-Ident-Verfahren über Onlinedienste unter Nutzung der Handykamera angeboten. Geht jetzt allerdings nicht mehr, weil die gematik das Video-Ident-Verfahren aus Sicherheitsgründen verboten hat. Die Krankenkassen sind derzeit auf der Suche nach Ersatzmöglichkeiten, die das persönliche Erscheinen der Patient:in bei einer Filiale der Kasse vermeiden.

Wo ist das Problem beim E-Rezept auf Papier?

Neben der Papierverschwendung und der Frage, wo denn da die Digitalisierung sein soll, stellen sich im Alltag von Arztpraxen und Patient:innen häufig Situationen ein, in denen es sinnvoll erscheint, ein Rezept ohne persönlichen Patientenkontakt übermitteln zu können. Ein paar Beispiele, die voraussetzen, dass der Patient oder die Patientin aus o.a. Gründen keine funktionierende E-Rezept App hat:

 

Beispiel 1:

Ein Patient oder eine Patientin fühlt sich krank und vereinbart mit seinem oder ihrem Hausarzt oder Hausärztin eine Videosprechstunde. Der/die Behandelnde kann im Laufe der Videosprechstunde eine Diagnose stellen und verschreibt Medikamente zur Linderung der akuten Beschwerden. Um die Medikamente von der Apotheke “um die Ecke” zu erhalten, muss der oder die Patient:in erst zum Hausarzt und das Rezept in Papierform abholen.

 

Beispiel 2:

Ein Patient oder eine Patientin erkrankt während des Urlaubs oder hat versäumt, sich rechtzeitig ein Rezept für die regelmäßige Medikamentierung vom Hausarzt/Ärtzin zu besorgen. Nach Anruf in der Praxis wird dort ein E-Rezept auf Papier ausgedruckt. Wie kommt das Rezept nun an den Urlaubsort, um dort in einer Apotheke eingelöst zu werden?

 

Beispiel 3:

Viele Bewohner:innen von Alten- und Pflegeheimen sind auf regelmäßig einzunehmende rezeptpflichtige Medikamente angewiesen. Um Bevorratung, Bestellung und Einnahme kümmern sich häufig die Mitarbeiter:innen des Heims. Geht ein Medikament zur Neige, wird beim Hausarzt oder Hausärztin angerufen und ein (Folge-) Rezept bestellt. Der gelebte Alltag mit dem Muster-16-Rezept sieht so aus: Arztpraxis stellt Rezept aus, druckt und unterschreibt das Rezept, faxt es in die Apotheke, die das Heim beliefert. Die Apotheke liefert die Medikamente dann ins Heim. Die Originale der Rezepte werden später von der Apo in der Praxis abgeholt.
Hier könnte das E-Rezept eine enorme Erleichterung bringen, und vor allem das umständliche und aus Sicht des Datenschutzes bedenkliche Ausdrucken und anschließende Faxen vermeiden.

 

Wie könnten diese Probleme gelöst werden?

Ein Ansatz zur Lösung ist der Plan, das E-Rezept so zu gestalten, dass es direkt mit der Gesundheitskarte des oder der Patient:in in jeder Apotheke einlösbar ist. Nach Ausstellung des Rezepts kann der/die Patient:in also in die Apotheke gehen, seine Karte einlesen lassen, und die Apotheke kann die vorliegenden Rezepte vom gesicherten Server abrufen. Damit würde immerhin die immense Papierverschwendung beim Ausdruck abgeschafft, in Videosprechstunden könnten Medikamente verordnet werden, und Patient:innen im Urlaub wären auch in der Lage, ohne Praxisbesuch ein Rezept zu erhalten. Leider wurde diese Möglichkeit nicht von Anfang an gedacht, sondern befindet sich derzeit erst auf dem Weg der Entwicklung. Wann das so flächendeckend möglich sein wird, steht noch nicht fest, aber viele Beteiligte fordern[5], dass es möglichst schnell umgesetzt werden soll, damit das E-Rezept zum Erfolg werden kann.

Es gibt aber auch Nachteile:

  • Die Rezepteinlösungen bei Online-Apotheken sind auf diesem Weg nicht möglich
  • Wenn man krank zu Hause im Bett liegt, muss man jemand anderem seine Gesundheitskarte mitgeben, damit er/sie das Rezept in der Apotheke einlöst, oder den aufwändigen und ggf. kostenpflichtigen Lieferservice der Apotheke nutzen.

 

Da über die Verfahren “E-Rezept-App”, “Zettelwirtschaft” und der geplanten “Nutzung der Gesundheitskarte” hinaus von gesetzgeberischer Seite keine weiteren Verfahren vorgesehen sind, gibt es leider derzeit keine alltagstaugliche Lösung dafür.

Warum nicht E-Mail, SMS oder WhatsApp?

Eine weiterer Lösungsansatz war, die reinen 2D Codes der E-Rezepte (ohne jegliche persönliche Daten oder Texte) aus der Arztpraxis-Software per E-Mail direkt an Patient:innen oder Apotheken zu schicken - nach freiwilligem Einverständnis von Patient:in. Dieser Ansatz von medisoftware hatte sich in der Praxis sehr bewährt und hat maßgeblich dazu beigetragen, dass die nur sehr wenigen Arztpraxen, die dieses Verfahren nutzten, bis Mai 2022 zu mehr als der Hälfte der insgesamt bundesweit ausgestellten E-Rezepte beigetragen haben. Das Verfahren musste jedoch aus rechtlichen Gründen am 22. August 2022 eingestellt werden. Die Begründung: Es dürfen keine anderen als die gesetzlich vorgesehen Wege zur Übertragung genutzt werden und das 2D Token enthält Daten, die von frei verfügbaren (Versand-) Apotheken-Apps entschlüsselt werden können[6]. Dieser Begründung kann medisoftware grundsätzlich folgen. Der Lösungsansatz “2D-Token per E-Mail-Versand” entstand in der Annahme, dass es außerhalb der gesicherten Netzwerk-Infrastruktur des Gesundheitswesens, der Telematik Infrastruktur, nicht möglich sein kann, dort verschlüsselt gespeicherte Daten (auf Umwegen) öffentlich auszulesen.

 

Das eigentliche Problem liegt hier also in der Tatsache, dass die geschützten Daten des E-Rezept 2D Codes von Apotheken-Apps und -Webseiten durch den  “Hintereingang” zur Telematik-Infrastruktur dechiffriert werden und einem nicht identifizierten oder autorisierten Anwender angezeigt werden. Eine Schranke in Form der vorherigen Eingabe der Versichertennummer in Verbindung mit einem weiteren Geheimnis könnte dafür sorgen, dass dieser Prozess sicherer und datenschutzfreundlicher wäre. Das würde nicht nur dem möglichen Missbrauch von verloren gegangenen oder unerlaubt abfotografierten E-Rezepten einen Riegel vorschieben, sondern auch einen datenschutzfreundlichen Umgang mit der gewollten Weiterleitung über andere Kanäle ermöglichen.

 

Um dieses Ziel allerdings zu erreichen, muss auch die Haftungsfrage für Ärztinnen und Ärzte reformiert werden. Derzeit haften sie bis zum Zeitpunkt der Einlösung des E-Rezepts in der Apotheke für den sicheren digitalen Transfer. Auch dann, wenn Patient:in explizit einen unsicheren Übertragungsweg (WhatsApp, E-Mail, SMS) wünscht, weil es einfach praktischer wäre, oder weil es den Umgang mit einer Notsituation erleichtern würde.

E-Rezept, go!

Wir wollen, dass das E-Rezept zum baldigen Erfolg wird! Seine flächendeckende Einführung ist überfällig, es erleichtert die Arbeit der Arztpraxen und Apotheken, es ermöglicht später vielleicht eine arztübergreifende Übersicht über die Verordnungen eines Patienten (Medikationsplan), es spart Papier und schont damit Klima und Umwelt. Darüber hinaus hat es das Potenzial, einige Probleme des Muster-16 Rezepts zu lösen, die bisher meist per Faxgerät gelöst wurden. Damit aber dieser Erfolg eintreten kann, bedarf es niedrigschwelliger und praxisgerechter Rahmenbedingungen, die Datenschutz, aber auch Alltagstauglichkeit in gleichem Maß nicht aus den Augen verlieren. Dazu möchten wir beitragen und fordern Politik und gematik auf: Lasst uns gemeinsam praktikable Lösungen finden. Bald!

 


[1] Bonusvergleich für Fußnotenleser, weil das Saarland in keinem seriösen Vergleich fehlen darf: Mit einem umgekippten Stapel der jährlichen Rezepte könnte man das Saarland in der Mitte (fast) durchqueren.

[2] https://www.bundesgesundheitsministerium.de/e-rezept.html

[3] Erste Probeläufe mit dem E-Rezept haben die Probleme bestätigt und ergeben, dass die App nur zu einem verschwindend kleinen Anteil genutzt wird (<0,1 %).

[4] Eine PIN haben < 1% der Patient:innen von den 60%, die überhaupt schon mit neuer eGK 2.1 ausgestattet sind.

[5] z.B. die Kassenärztliche Vereinigung Westfalen-Lippe: https://www.kvwl.de/pressemitteilungen/detail/nachricht-kvwl-bleibt-beim-e-rezept-rollout-an-bord-und-fordert-weiter-eine-digitale-loesung

[6] Begründung des Unabhängigen Landeszentrums für Datenschutz, ULD in Kiel: https://www.datenschutzzentrum.de/artikel/1413-eRezept.html


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